Auftanken, wo Energie entstehet

Ein Ausflug an die Quelle der erneuerbaren Energie erneuert auch die eigene: das Naturidyll «Hagneck» lädt zum Auftanken. Und diese gute Energie durchfliesst neuerdings sogar einen Designtisch.


Bächlein, die ihre Arme zu allen Seiten ausstrecken, Libellen, die über den Tümpeln das Loblied des Sommers surren, Vögel, die zwitschernd verkünden, dass es um deren Artenvielfalt hier gut bestellt ist; «Hagneck» heisst das Idyll, in dem Natur und Technik zusammenspielen. In dieser in der Schweiz einzigartigen Auenlandschaft darf man auch einzigartige Wesen vermuten... Im Grunde würde es einen nicht überraschen, die behaarten und aussergewöhnlich grossen Füsse eines Hobbits zu erblicken, der zwischen Gestein und Gestrüpp friedvoll der Siesta frönt. Natürlich entspringt dieses Bild der Fantasie, doch ist der Kanal am Südufer des Bielersees ein guter Ort, um Fantasie treiben zu lassen. Ein nicht-fiktives Wunderwesen könnte man durchaus erspähen, was aber Glückssache ist: Der seltene Eisvogel mit rotorangem Bauch und dunkelblau-türkis changierendem Rücken. Keine «Glückssache» war die Erschaffung dieses «Kraftorts», für welche 100 000 Kubikmeter Fels und Molasse ausgehoben und 50 000 Kubikmeter Beton verbaut wurden: Das neue, 2015 in Betrieb genommene Hightech-Wasserkraftwerk der «BKW» und der «Bieler Kraftwerke» ist eine ökologische Meisterleistung, die Natur und Landschaft bedeutend aufgewertet hat. Das Pionierprojekt, dem 13 Jahre Planung und vier Jahre Bauzeit vorausgingen, umfasste den Umbau des alten Kraftwerks aus dem Jahre 1900, den Neubau eines effizienteren Wasserkraftwerks und die Renaturierung der Umgebung samt ausgeklügelter Fischtreppen. Einem natürlichen Wildbachlauf nachempfunden, ermöglichen diese es einheimischen Fischarten wie Seeforellen und Barben das Kraftwerk zu passieren und flussaufwärts weiter zu schwimmen.

Miteinander von Natur und Technik

Das Wasserkraftwerk, das vor über 120 Jahren gebaut wurde, war mit seinen markanten Hochwasserdämmen eines der Herzstücke der Juragewässer-Korrektion und eines der ersten Grosswasserkraftwerke der Bernischen Kraftwerke. Die heutige Anlage produziert 40 Prozent mehr Strom als die bisherige und modernste Technik macht eine hohe Energieeffizienz möglich. Dieser energiegeladenen Entwicklung von 1900 bis zur Hochtechnologie kann man bei einer Führung durch das Besucherzentrum auf die «Turbinen fühlen», durch welche das gesamte Wasser von Aare und Saane fliesst: Mit einer Gesamtleistung von 24 Megawatt erzeugen diese 93 Gigawattstunden Strom, was den Jahresbedarf von 30 000 Berner Haushaltungen deckt. Zahlreiche Auszeichnungen würdigen die Energieproduktion, die sich im Naherholungsgebiet einbettet: Beispielsweise zeichnete die «Stiftung Landschaftsschutz Schweiz» diese vom Mensch gemachte Natur als «Landschaft des Jahres 2017» aus und 2018 erkor die «Stiftung Auszeichnung Berner Baukultur» das Wasserkraftwerk zum beispielhaften, zeitgenössischen Werk.

Wem vor lauter eindrücklicher Zahlen der Kopf surrt, als sässe eine Bienenkönigin darin, befreit diesen, indem er vom Wehr aus auf die tosenden Wassermassen hinabblickt. Die Sicht auf die St. Petersinsel und den Chasseral auf der einen, und auf Eiger, Mönch und Jungfrau auf der anderen Seite durchfliegt eine Meise, die nahe der Wasseroberfläche nach einem Insekt pickt.

Verköstigt verweilen

Wenn man weder Hobbit noch Eisvogel zu Gesicht bekommt, dann kehrt man wenigstens – was sich als nicht minder spannend herausstellt – ein im Bistro des «Eisvogels». «Martin-Pêcheur» – nach dem französischen Namen des schillernden Federgenossen – hat Martin Blaser sein Lokal benannt, das direkt am Oberwasserkanal liegt. Als der Möbeldesigner und Industriebauten-Fan aus der Zeitung vom Projekt erfuhr, liess ihn die Idee nicht los, das Wasserwerkareal dereinst zu seinem Wirkungsort zu machen. Sechs Jahre später verliess er den Berner «Breitsch», um mit seiner Partnerin eines der historischen Angestelltenhäuser zu bewohnen und in einem ehemaligen Werkstattgebäude Gäste zu bewirten. Das Warten auf den Eisvogel – oder zur Tiefenentspannung einfach mal auf gar nichts – versüsst man sich mit «Caffè freddo» und hausgemachtem Birnenkuchen. Während man gaumen- und seelenruhig Köstlichkeiten schnabuliert, fliessen nebenan 320 m3 Wasser pro Sekunde durch das Kraftwerk.

Sekunde für Sekunde geniesset man den Ausblick auf den See – und den Sonnenuntergang, wenn man genug lange da bleibt. Das ist wahrlich kein Kunststück, denn Zeitvertreibe gibt es auf dem Areal reichlich. Zum Beispiel einen Besuch in der «Stahlblau»-Werkstatt, in der Martin Blaser geradlinige Möbelstücke in Kleinserie baut.

1 Die «Kraftwerker» Daniel König, Martin Blaser, Ralf Geckeler und Jürg Scheidegger beim Diskutieren über die Form des Metallfusses mit Holzverbindungen, -feder und gestemmtem Zapfen.

2 Gute Raumenergie: Der «Kraftwerktisch» ist aus alten Bodenbrettern aus dem Wasserkraftwerk Erlenbach geschaffen. kraftwerktisch.ch

3 Keine Eile, aber Weile: Bis man das Bistro «Martin-Pêcheur» verlässt, fliesst noch viel Wasser die Schleusen hinunter …


Designtisch gewordene Energie

Inspiriert von der Energie, die ihn hier umfliesst, hat er jüngst den «Kraftwerktisch» designt. Impulsgebend war, das sein Freund Daniel König, seines Zeichens Schreiner-meister, alte Bodenbretter aus einem Simmentaler Wasserkraftwerk entsorgen sollte. Doch das Eichenholz erschien ihm viel zu schade zum Wegwerfen …! Nach einen Geistesblitz des befreundeten Jürg Schneider und zig gemeinsamen Kurzschlüssen mit Ralf Geckeler, dem vierten im Bunde, steht das nachhaltige Unikat nun auf den eigenen Füssen. Die lange Tafel, deren Fasern Industriegeschichten flüstern, verströmt mit seiner charakteristischen Original-Nummerierung «Gute Energie im Raum», wie es die vier Macher beschreiben. Später, so der Plan, soll es Tische aus Holz von weiteren historischen Schweizer Industriebauten geben. Jetzt schon bietet die Viererbande das Modell auch aus anderen nachhaltigen Massivhölzern wie Nussbaum oder Ahorn an.

23, 45, 46 … während man im Showroom das Upcycling-Unikat den Zahlen nach mustert, vernimmt man im Blickwinkel etwas, das Kreise in das Himmelblau zieht. Es ist ein Tier, das in Sachen Eindrücklichkeit dem Eisvogel – und dem Hobbit – durchaus Konkurrenz macht: Es ist Arthur von der Gattung der Fischadler, die in der Schweiz seit 100 Jahren ausgestorben ist. Auch ihm scheint es im Hagneck-Delta zu gefallen: Gerade hält er Ausschau nach einem Weibchen …


Führung durch die Welt der Wasserkraft

Von der Maschinen- zur Turbinenhalle, über den Wehrgang bis zum Fischzählbecken: Eine zweistündige Führung durch das Hightech-Wasserkraftwerk Hagneck bietet vertiefte Informationen über die Stromerzeugung mit Wasserkraft inmitten der Natur. Die Entdeckungstour lässt sich mit der Besichtigung des alten, renovierten Kraftwerks ausdehnen – ein Denkmal der Technik- und Kulturgeschichte.

Besucherzentrum Wasserkraftwerk Hagneck, jeweils Montag bis Samstag

(Anmeldung 7 Tage im Voraus erforderlich).

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